(Kommentar von Dr. Essiger in kursiv/rot)
Das ist eine Überschrift, die in unserer Welt der Informationsüberflutung Aufmerksamkeit erregt. Es wird unterschwellig die Angst geschürt, dass Millionen von Kindern, die in unserem Land in kieferorthopädischer Behandlung sind, unnötig behandelt werden
Verringern Zahnspangen das Risiko von Karies oder Parodontitis? Eine Studie im Auftrag des Gesundheitsministeriums ist der Frage nachgegangen.
Weiter geht es mit einer Fragestellung, bei der von vornherein jedem nicht journalistisch fremdbestimmtem Leser klar werden muss, dass die korrekte Beantwortung dieser Frage für diese neue mit Steuergeld finanzierte Studie sicher mindestens fünf Jahre für das Thema Karies, allerdings mindestens 20-30 Jahre für das Thema Parodontitis in Anspruch nehmen wird. Es ist zu fragen, warum nicht die zahlreichen vorhandenen Studien erst einmal gelesen und damit zur Kenntnis genommen werden (Eingabe bei PubMed: "Influence of orthodontic treatment to periodontitis"). Schon hat man bei dieser nur beispielhaften Formulierung ca.40 aussagefähigen Studien und kann bei Variation der Suche die Treffer erheblich erhöhen.
Die Verwertung dieser Studien spart also zum einen erhebliche Steuergelder ein, macht kurzfristig beurteilungs- und entscheidungsfähig, hat allerdings für Journalisten zum Nachteil, dass keine Eye-Catcher-Überschrift zur Verfügung steht. Außerdem kann die Bevölkerung sich selbst ein Urteil bilden über die tatsächliche Notwendigkeit dieser neuen Diskussion:
Wer in dem entsprechenden Alter ist und keine kieferorthopädische Behandlung erfahren hat, kann bei sich selbst oder in seinem Umfeld sehen, welche Auswirkungen fehlende kieferorthopädische Behandlung oft zur Folge haben: Kiefergelenkknacken, Zahnabnutzung durch nächtliches Knirschen, CMD-Erkrankungen, Zahnfleisch-/Kieferknochenabbau und Füllungen in den Zähnen, die bei kieferorthopädisch behandelten Patienten mehrheitlich nicht vorhanden sind. Günstigeres Aussehen, dadurch bedingt bei Kindern und Jugendlichen höheres Selbstwertgefühl und später bessere beruflichen Bedingungen ergänzen das Spektrum.
Der medizinische Nutzen von Zahnspangen und kieferorthopädischen Behandlungen ist laut einem Gutachten nicht ausreichend erforscht. Die untersuchten Studien ließen "in Bezug auf die diagnostischen und therapeutischen kieferorthopädischen Maßnahmen keinen Rückschluss auf einen patientenrelevanten Nutzen zu", heißt es in einer Meta-Studie des Berliner IGES-Instituts, die durch das Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegebenen wurde. Ein Sprecher von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte, dass das Ministerium dennoch nicht an der Notwendigkeit kieferorthopädischer Leistungen zweifle.
"So what" darf man auf Neudeutsch zu diesen Zeilen fragen. Welche Kompetenz allerdings der oder die Gutachter bezüglich der obigen Behauptung besitzen, ist zu hinterfragen. Ebenso, wie der verwendete Begriff "nicht ausreichend" definiert ist.
Dem Gutachten zufolge belegen Studien zwar Erfolge bei der Korrektur von falsch stehenden Zähnen und positive Auswirkungen auf die Lebensqualität der Patienten, aber langfristige Auswirkung etwa auf Zahnausfall oder Parodontitis wurden nicht betrachtet. Wie ZEIT ONLINE im Juli bereits berichtete, deckt sich die Erkenntnis aus diesem Gutachten mit dem Forschungsstand dazu.
Wie bereits erwähnt wird empfohlen in den relevanten medizinischen Datenbanken und Veröffentlichungen nachzulesen, was exzessiv zu dieser Thematik in der Vergangenheit und jüngst vorgetragen und damit bekannt ist.
Dass Zahnspangen Probleme wie Karies, Parodontitis oder Zahnverlust verringern, könne zwar nicht belegt werden, sei aber der Untersuchung zufolge auch nicht ausgeschlossen, teilte das Ministerium dazu mit.
Siehe oben...
"Prinzipiell bewertet den Nutzen einer Therapie nicht der Gesetzgeber", hieß es weiter. Das Ministerium werde mit den Beteiligten "den weiteren Forschungsbedarf und Handlungsempfehlungen erörtern".
Soziale Herkunft bald am Gebiss erkennbar?
Die Analyse beschäftigt sich auch mit den Ausgaben der Krankenkassen für kieferorthopädische Behandlungen. Diese seien über die vergangenen Jahre hinweg gestiegen und hätten 2017 mit 1,1 Milliarden Euro einen neuen Höchststand erreicht, heißt es in der mehr als 100 Seiten langen Untersuchung. Die verschiedenen Daten dazu seien aber nur eingeschränkt vergleichbar: "Auf Basis der Daten kann daher nicht beurteilt werden, ob die Ausgaben in der kieferorthopädischen Versorgung den Kriterien der Wirtschaftlichkeit genügen", heißt es in dem Papier.
Wer selbst zu den Eltern gehört und sehen kann, dass sein Kind schief stehende Zähne hat oder diese Information vom Schulzahnarzt erhalten hat, weiß, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen bei Leibe nicht jede Behandlung übernehmen. Es werden nur schwerwiegende Fälle übernommen und diese werden nach den Kriterien bewertet, die federführend der Gesetzgeber und die gesetzlichen Krankenversicherungen, nicht aber die Zahnärzte, festgelegt haben (KIG-Werte). Das bedeutet, dass viele kieferorthopädische Behandlungen, die sicher nötig waren, von vornherein durch das Raster der Bezuschussung fallen. Zusätzlich werden eingereichte Behandlungsanträge für die Kieferorthopädie von den Krankenkassen geprüft und zum Gutachter gesandt, was nicht selten weitere Ablehnungen der Bezuschussung nach sich zieht.
Im Frühjahr hatte der Bundesrechnungshof eine unzureichende Erforschung des medizinischen Nutzens kieferorthopädischer Behandlungen wie etwa Zahnspangen bemängelt. Welche Leistungen der medizinischen Versorgung von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden, legt der sogenannte Gemeinsame Bundesausschuss fest. Darin sind Ärztinnen, Zahnärzte, Psychotherapeutinnen, Krankenhäuser und Krankenkassen vertreten.
Der Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem warnt vor voreiligen Schlussfolgerungen. "Es wird weiterer Studien bedürfen, um zu untersuchen, wie das Verfahren mittel- und langfristig tatsächlich wirkt", sagte Wasem der Saarbrücker Zeitung. "Diese sollten jetzt sehr rasch in Auftrag gegeben werden." Wasem warnte vor einer sozialen Schieflage, falls die Behandlung einen Nutzen hätte, aber nicht mehr von den Krankenkassen bezahlt werden würde. "Dann könnte man später an den Gebissen sehen, welche Eltern sich die Spange leisten konnten und welche nicht."
(Quelle: ZEIT ONLINE, dpa, AFP)
Alles in allem bewirkt diese neuerliche Diskussion um möglicherweise überflüssige Behandlungen und Geldausgaben in der Medizin/Zahnmedizin eines auf jeden Fall: Quotenverbesserung für Printmedien und das Fernsehen und damit Einnahmen und Auskommen für die Journalisten.
Es wird angeregt für die vom Bund veranlasste Studie noch ein neues Ministerium einzurichten.